Celesio und DocMorris:
Wo Dr. Oesterle irrte - Warum Oesterle die Erwartungen der Apotheker nicht erfüllte
- Gastkommentar -
In der Pressekonferenz am Nachmittag des 26. April 2007 hatte Dr. Oesterle nach Bekanntgabe der "Hochzeit" von Celesio und DocMorris erklärt: "Apotheker, die aufgeschlossen in die Zukunft denken, fühlen sich gut aufgehoben bei Gehe. Die meisten Apotheker, die negativ über uns denken, weil wir Ketten betreiben, haben wir schon verloren. Jetzt erfüllen wir nur einen Anspruch, der uns schon angedichtet wurde. Wir erfüllen Erwartungen." Er rechne damit, dass ihm seine 8500 Gehe-Kunden erhalten blieben.
Nur Gehe weiß, wie viele Apotheken als Kunden nach dieser Pressekonferenz tatsächlich verloren gingen. Die Schätzung von Dr. Oesterle, dass allenfalls im hohen einstelligen Bereich Marktanteile verloren gehen würden, dürfte sich inzwischen als unzutreffend herausgestellt haben. Laut "Handelsblatt" muss Celesio/Gehe einen zweistelligen Rückgang des Marktanteils im Pharma-Geschäft hinnehmen. Die Analysten von Dresdner Kleinwort kalkulieren mit einem Verlust von 10 bis 20% Markanteil. Das entspricht auch den Schätzungen anderer Marktteilnehmer. Und damit stellt sich die Frage, ob Dr. Oesterle die Reaktion der Apotheker falsch eingeschätzt hat. Insbesondere wirft dies auch die Frage auf, warum die Apotheker so aggressiv auf die "Hochzeit" von Celesio/Gehe/DocMorris reagiert haben.
Was hatten die Apotheker wirklich erwartet?
Dr. Oesterle ist fraglos beizupflichten, dass die Apotheker von Gehe den Betrieb einer Apothekenkette in Deutschland erwartet hatten. Mehrheitlich jedoch ab dem Zeitpunkt des Fallens des Fremdbesitzverbotes.
Hier liegt der erste signifikante Unterschied: Die Apotheker hatten erwartet, dass Gehe auf ein Fallen des Fremdbesitzverbotes mit dem Auflegen einer eigenen Kette reagieren werde, nicht aber, dass Celesio/Gehe durch faktisches Eintreten in den Rechtsstreit beim Europäischen Gerichtshof, den DocMorris dort auslöste, selbst aktiv am Fallen des Fremdbesitzverbotes in Deutschland arbeiten werde. Das Schlucken von DocMorris brachte Celesio genau in diese Situation und löste auch von dort die Erklärung aus, dass dieser Rechtsstreit selbstverständlich fortgesetzt werde. Damit wurde Celesio für die Apotheker vom Zuschauer zum Aggressor.
Aber zurück zur Frage, welches Verhalten die Apotheker von Gehe im Rahmen einer Kettenbildung erwarteten: Die Apotheker gingen davon aus, dass eine von Gehe auf rechtlich gesichertem Boden aufgelegte Kette Vorteile bei den Einkaufskonditionen erzielen würde, die diesen verketteten Apotheken bessere wirtschaftliche Grunddaten verschaffen müsste. Daraus hätten im Wettbewerb mit diesen Apotheken Nachteile entstehen können. Die stärkeren Renditen der verketteten Apotheken hätten finanziellen Spielraum für Aktivitäten schaffen können, der sich im Dienstleistungs-Wettbewerb negativ auf die "freien" Apotheken ausgewirkt hätte. Wenn überhaupt ein Preiswettbewerb über den Verkaufspreis zum Endkunden hin geführt worden wäre, wäre dies gleichwohl ein Wettbewerb geworden wie halt mit anderen Apotheken auch.
Discount war nicht erwartet worden ...
Der wesentliche Unterschied, der sich durch den Kauf von DocMorris für die freien Apotheken ergab, war, dass es jetzt eben keinen "normalen" Wettbewerb geben würde, sondern einen als existenziell empfundenen Wettbewerb gegen ein Discount-Modell, das noch dazu vom Pharmagroßhandel refinanziert wird. Und hier besteht ein signifikanter Unterschied: Alle Discountmodelle - auch die im pharmazeutischen Sektor - leben von drastisch gesteigerter Frequenz. Der billige Preis wird durch Masse tragfähig, sonst nicht. Ist aber im Arzneimittelbereich der Nachfragemarkt im Wesentlichen konstant, kann sich ein Discounter nur dadurch behaupten, dass er mit aggressiver Preispolitik enorme Steigerungen der Kundenfrequenzen auslöst, die wegen ihrer Größenordnung massiv die lokalen Konkurrenten existenziell belasten. Es geht bei der Konkurrenz zwischen einer Discount-Apotheke und einer "normalen" Apotheke eben nicht nur um ein paar Prozentpunkte. Es geht um die Existenz. Der ernsthafte Erfolg einer Discount-Apotheke entsteht nur dann, wenn er die umliegenden Konkurrenz-Apotheken existenziell trifft. Hierin liegt psychologisch eine völlig andere Dimension als in einer Nicht-Discount-Kette. Deshalb waren die Apotheker von Gehe enttäuscht, weil Gehe früher als Partner der freien Apotheke gesehen wurde und nun für viele überraschend zum Aggressor mutierte. Die Abwanderung der Apotheken von Gehe erfolgte aus dem instinktiven Verständnis, dass Gehe auf einmal als Feind verstanden wurde, den man schwächen musste, um die eigene Existenz nicht zu gefährden.
Auch Neugründungen wurden nicht erwartet ...
Ein Weiteres kam hinzu: Viele der Apotheker, die von Gehe beliefert wurden, rechneten zwar mit einer Kettenbildung durch Gehe, hatten aber die Absicht, dann ihre Apotheke in diese Kette einzubinden. Dabei rechneten sie mindestens mit einem "fairen" Kaufpreis. Stets schürte der Außendienst von Gehe hier sehr hochgestochene Kaufpreis-Erwartungen, die sich teilweise durchaus in utopischen Höhen bewegten. Parallel vermied die Geschäftsführung von Gehe konsequent Aussagen über die tatsächliche Höhe solcher zukünftigen Kaufpreise. Das hatte den netten Nebeneffekt, dass viele Apotheken in der hoffnungsvollen Erwartung eines späteren überproportionalen Kaufpreises sich von Gehe beliefern ließen, um bei der Entscheidung über die für die Kette aufzukaufenden Apotheken "in der ersten Reihe zu sitzen". Für diese Apotheken war es ein Schlag ins Gesicht, als Dr. Oesterle erklärte, ein Kettenbilder müsse nicht nur vorhandene Apotheken kaufen, er könne auch selbst neue gründen. Wer bis dahin als potenzieller Käufer Gehe als "seinem" Großhändler und zukünftigen Kettenpartner voller Stolz seine erstklassigen Umsätze über die Belieferungsverträge offen legte, schmückte sich auch selbst als Braut für die anstehende Hochzeit. Nach dem publizierten Sinneswechsel durch Gehe offenbart sich dieser Datenfluss nun nicht mehr als gewünschte Information des zukünftigen Partners, sondern als Preisgabe existenzieller Wirtschaftsdaten an den potenziellen Konkurrenten von morgen. Natürlich belastet ein solcher Wechsel der strategischen Ausrichtung durch Celesio/Gehe das Vertrauensverhältnis zur belieferten Apotheke.
Fazit
Celesio hat entgegen Oesterles Presseerklärung gerade nicht "Erwartungen erfüllt". Vielmehr sind die Erwartungen der freien Apotheken gegenüber Gehe, die teils nur aus der gedanklichen Sphäre dieser Apotheken kamen, aber ebenso teilweise auch durch Gehe geschürt wurden, wie Luftblasen zerplatzt. Deshalb fängt sich Gehe derzeit diese aggressive Reaktion der freien Apotheken ein. Das kommt so überraschend nicht ...
[ Dr. Bernhard Bellinger (Rechtsanwalt / Steuerberater / Vereidigter Buchprüfer / Fachanwalt für Steuerrecht), Königsallee 1, 40212 Düsseldorf, E-Mail: bellinger-at-bellinger.de ]
Quelle : AZ der Deutschen-Apotheker-Zeitung , Stuttgart
Montag, 25. Juni 2007
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Avie-Prognose: 2015 nur noch 15.000 Apotheken - Kerckhoff wirbt für Kooperationen
FRANKFURT/MAIN (ks). Thomas Kerckhoff, Geschäftsführer der Apothekenkooperation www.Avie.de , sieht die Apothekenlandschaft in einem unaufhaltsamen Wandel begriffen: "Innerhalb der nächsten Jahre wird sich die Zahl der Apotheken von jetzt 21.500 auf etwa 15.000 reduzieren", erklärte er am 20. Juni in Frankfurt. In seinen Augen besteht deshalb jedoch kein Grund zur Sorge.
Kerckhoff, einst Vorreiter in Sachen Arzneimittelversandhandel und Begründer des Bundesverbands Deutscher Versandapotheken www.bvdva.de , ist heute als Avie-Geschäftsführer überzeugt, dass das Fremdbesitzverbot für Apotheken schon in Kürze fallen wird. Bestätigen lässt er sich seine Prognose von Dr. Martin Gersch, einem Privatdozenten für Wirtschaftsinformatik an der Ruhr-Universität Bochum: "Die Übernahme von DocMorris durch Celesio ist nur eine besonders beachtete Episode einer fundamentalen und unumkehrbaren Veränderung des Apothekenmarktes", meint dieser. Denn der Apothekenmarkt wecke auch bei branchenfremden Kapitalgebern Begehrlichkeiten. Neben den Drogeriemärkten und weiteren potenziellen Trägern von Apothekenketten bereiteten sich auch andere Akteure mit neuen Geschäftssystemen auf die Teilnahme am Arzneimittelhandel vor. Die Bandbreite der Unternehmen reiche von Lebensmittel-Einzelhändlern bis zu Wohnungsbaugesellschaften, so Gersch.
Verbesserung von Preis und Leistung
Kerckhoff sieht dennoch nicht schwarz für die Apotheker und die Patienten - und natürlich auch nicht für Avie. "Trotz der deutlich geringeren Apothekendichte wird der Kunde eine erhebliche Verbesserung von Preis und pharmazeutischer Leistung in der Offizin erleben", prognostiziert er. Denn das Eindringen von Kapitalgesellschaften werde einen aggressiven Wettbewerb über Service und Preis in der Apotheke um den Kunden einläuten. Kerckhoff geht davon aus, dass gut die Hälfte der heute noch eigenständigen Apotheker ihre unternehmerische Selbstständigkeit verlieren wird.
Apothekern, die "trotz dieser dramatischen Veränderungen selbstständig am Markt bestehen wollen", empfiehlt er, sich frühzeitig einer Verbundgruppe anzuschließen. So biete nach seiner Auffassung das Franchiseunternehmen Avie eine zukunftssichere Perspektive. Bislang bekennen sich allerdings erst rund 50 Apotheken in Deutschland zum kostspieligen Avie-Konzept. Die Kooperation, hinter der der Arzneimittelimporteur Kohl als Gesellschafter steckt, hatte noch im Februar verkündet, in diesem Jahr die Zahl der Avie-Apotheken zu verdoppeln. Wer die Avie-Website genauer studiert, muss zu dem Schluss kommen, dass das Unternehmen von diesem Ziel noch weit entfernt ist. Ob das Beschwören "fundamentaler Änderungen im Apothekenmarkt" etwas daran ändert, wird sich weisen.
(Quelle : heutige AZ der Deutschen-Apotheker-Zeitung)
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